Ein unzureichendes Bewusstsein
Eine repräsentative Online-Befragung aus dem Jahr 2023 zeigt, dass nur die Hälfte der Bevölkerung das biologische Geschlecht für die medizinische Behandlung als relevant ansieht. Bei lebensbedrohlichen Erkrankungen, wie einem Herzinfarkt, sinkt dieser Anteil sogar auf 21 %. Im Gegensatz dazu sind sich 96 % der befragten Hausärztinnen und Hausärzte einig, dass das Geschlecht bei Diagnostik und Therapieentscheidungen eine Rolle spielen sollte – eine Diskrepanz, die sich auch in der Praxis widerspiegelt. Oft wird das weibliche Geschlecht nur im Zusammenhang mit Schwangerschaft und Stillzeit differenziert betrachtet, während andere geschlechtsspezifische Aspekte weitgehend unberücksichtigt bleiben.
Diagnostik: Weibliche Symptome, männliche Standards
Ein Paradebeispiel für die Herausforderungen der Gendermedizin ist der Herzinfarkt. Während Männer oft typische Symptome wie starke Brustschmerzen und Ausstrahlung in den linken Arm zeigen, treten bei Frauen unspezifischere Beschwerden wie Übelkeit, Atemnot oder Schmerzen im Oberbauch auf. Solche Unterschiede führen dazu, dass Frauen doppelt so häufig eine Fehldiagnose erhalten. Ähnlich problematisch ist die verspätete Diagnose von Hirntumoren bei Frauen, die nicht selten fälschlicherweise als psychische Beschwerden eingeordnet werden – mit schwerwiegenden Folgen für die Prognose.
Geschlechterunterschiede in der Therapie: Medikamente und Dosierungen
Ein weiterer kritischer Punkt ist die geschlechtsspezifische Medikamentenforschung. Seit 2011 müssen in der EU geschlechtsspezifische Daten berücksichtigt werden, doch in der Praxis wird oft eine einheitliche Dosierung empfohlen. Dies kann dazu führen, dass Medikamente bei Frauen und Männern suboptimal wirken oder unerwünschte Nebenwirkungen auftreten. Um dem entgegenzuwirken, sind dringend weitere Anpassungen in Forschung und Anwendung notwendig.
Fortschritte und Hoffnung: Bildung und Forschung
Erste Schritte zur Schließung dieser Lücke sind erkennbar. Seit einigen Jahren gibt es an herausragenden medizinischen Fakultäten wie der Charité Berlin und der Medizinischen Hochschule Hannover spezialisierte Forschungsbereiche und Professuren für Gendermedizin. Zudem sieht die neue Approbationsordnung für Ärzte, die ab 2027 gilt, vor, Medizinstudierende von Beginn an mit geschlechtsspezifischen Unterschieden in Diagnostik und Therapie vertraut zu machen. Diese Entwicklungen sind vielversprechend, um langfristig eine geschlechtergerechte medizinische Versorgung zu gewährleisten.
Umweltbelastende Darreichungsformen vermeiden
Die Wahl der Darreichungsform eines Medikaments kann wesentliche Auswirkungen auf die Umwelt haben, insbesondere im Hinblick auf die klimabewusste Verordnung inhalativer Arzneimittel. Inhalativa beeinflussen in unterschiedlichem Maße den Klimawandel. Dabei tragen Dosieraerosole (DA), die klimaschädliche Treibgase enthalten, ein deutlich höheres atmosphärisches Schädigungspotenzial als Pulverinhalatoren (DPI). Technisch bedingt verbleibt in DA auch nach der Restentleerung eine geringe Menge des Treibgases im Behältnis, was ihre Entsorgung erschwert. Sofern therapeutisch vertretbar, sollten daher DPIs den DAs bei der Behandlung von obstruktiven Atemwegserkrankungen vorgezogen werden. Hierbei müssen jedoch die motorischen und kognitiven Fähigkeiten der Patientinnen und Patienten berücksichtigt werden, da die Anwendung von DPIs ein forciertes Inspirationsmanöver erfordert. Die aktuelle S2k-Leitlinie „Klimabewusste Verordnung von Inhalativa“ empfiehlt dementsprechend bei Jugendlichen über 12 Jahren und Erwachsenen mit obstruktiver Lungenerkrankung eine klimabewusste inhalative Therapie (vorzugsweise mit einem DPI); dies gilt in der Regel auch für den bedarfsweisen Einsatz. Die Leitlinie bietet zudem einen Verordnungsalgorithmus, der mit verschiedenen Entscheidungshilfen die klimafreundliche Verordnung von Inhalativa unterstützt. Durch die Umstellung auf klimafreundlichere DPI lässt sich der der CO2-Fußabdruck signifikant senken. In einer post-hoc Analyse einer randomisierten, kontrollierten Studie führte die Umstellung auf DPI zu einer substanziellen Reduktion der Treibhausgasemissionen, ohne dass Nachteile hinsichtlich der Asthmakontrolle festgestellt wurden.
Fazit
Die Gendermedizin ist kein Luxus, sondern eine Notwendigkeit. Eine stärkere Berücksichtigung geschlechtsspezifischer Unterschiede in Diagnostik, Therapie und Forschung kann nicht nur Leben retten, sondern auch die Effizienz und Qualität der medizinischen Versorgung erhöhen. Ärztinnen und Ärzte spielen eine zentrale Rolle dabei, diesen Wandel voranzutreiben – sei es durch individuelle Behandlungsansätze, Fortbildung oder den Einsatz für eine differenzierte Forschung. Der Weg zu einer geschlechtergerechten Medizin ist lang, doch die ersten Schritte sind gemacht. Nun gilt es, den „Gender Gap“ mit vereinten Kräften weiter zu schließen.
Referenzen
- Ärzteblatt: Bewusstsein für Gendermedizin vergleichsweise gering (2023) zuletzt abgerufen am 11.02.2025
- Pronova BKK: Studie zur Gendermedizin: Unterschiede für Gleichberechtigung (2022) zuletzt abgerufen am 10.02.2025
- SAGE Journals: Geschlechtsspezifische Unterschiede in der Herzinfarktdiagnostik zuletzt abgerufen am 06.02.2025
- The Brain Tumour Charity: Verzögerte Diagnosen bei Frauen mit Hirntumoren zuletzt abgerufen am 03.02.2025
- Bundesministerium für Gesundheit: Neue Approbationsordnung für Ärzte (gültig ab 2027) zuletzt abgerufen am 04.02.2025